Die Masterclass
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Close up photograph of a woman with her eyes closed deep in thought
Das Gehirn ist ein faszinierendes Organ. Besonders, wenn es um die Welt der Investitionen geht. Was geht in Deinem Kopf vor, wenn Du das Auf und Ab des Marktes erlebst? Wie wirkt es sich auf Deine Gefühle aus? Und noch wichtiger: Was kannst Du dagegen tun?

Lange Zeit haben Ökonomen Investoren als rationale Menschen betrachtet, die zu leidenschaftslosen und optimalen Investitionsentscheidungen fähig sind. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen einige Forscher, die menschliche Fähigkeit, durchgängig rational zu sein, in Frage zu stellen – insbesondere beim Investieren. Dies führte zur Entstehung eines sehr produktiven Forschungsgebietes: der Verhaltensökonomie. Mehrere Hundert Artikel und einige Nobelpreise später würde es niemand mehr wagen, in Frage zu stellen, dass Emotionen und Psychologie Schlüsselrollen bei den Entscheidungen eines Anlegers spielen. Doch um welche Emotionen geht es hier? Jüngste Fortschritte auf dem Gebiet der Neurowissenschaften* haben faszinierende Hinweise geliefert. Begeben wir uns auf eine Tour durch Dein Investorengehirn, um zu verstehen, wie Emotionen funktionieren und wie wir mit ihnen umgehen können.

Es geht nicht darum, zu versuchen, Emotionen zu unterdrücken, sondern eher darum, zu erkennen, wann sie einsetzen.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen oder Ereignissen ist rein zufällig. Oder auch nicht.

Nehmen wir eine fiktive Geschichte, um die Situation darzustellen.

Stellen Dir vor, Du geniesst eine Tasse heissen Kaffee mit einem Deiner besten Freunde. Diesem Freund mangelt es nie an guten Ideen und er scheint immer auf dem Laufenden zu sein, was in der Welt passiert. Irgendwann fragt er: «Hast du schon von dieser neuen Firma gehört? Sie sind dabei, ein neues, revolutionäres Produkt auf den Markt zu bringen. Und ich kenne den Manager. Glaub mir, das wird ein Riesenerfolg werden und die Aktie wird der Hit. Ich habe schon 1000 Aktien gekauft und 200 % Gewinn auf meine Investition gemacht. Und das ist erst der Anfang. Du solltest auch investieren!» Das hat Dich zum Nachdenken gebracht. Auf dem Weg nach Hause durchsuchst Du nervös das Internet nach weiteren Informationen über dieses mysteriöse Unternehmen. Dein Körper und Dein Geist gehen in dieser Suche völlig auf. Sobald Du zu Hause angekommen bist, gehst Du sofort auf Dein Handelskonto, um auch ein paar Aktien zu kaufen. Das Drücken des Kauf-Knopfes beschert Dir einen unbeschreiblichen Mix von Gefühlen. Wie intensiv das Investieren sein kann! Am nächsten Tag überprüfst Du etwas besorgt Dein Konto und stellst fest, dass die Aktie um 10 % gestiegen ist. Was für ein tolles Gefühl. Und das Highlight: Die Investitionen in Deinem Portfolio sind ebenfalls gestiegen. Heute ist Dein Tag und Du freust sich schon auf das Abendessen, um Deine Erfolgsgeschichte mit Deinem Freundeskreis zu teilen.

Ein paar Monate später trifft eine Reihe negativer Nachrichten die Märkte. Die meisten Aktienmärkte sind im Minus und der Trend scheint sich fortzusetzen. Auch Deine Investitionen sind im Keller und einige Deiner finanziellen Schätze leiden so sehr, dass Du darüber nachdenkst, alles zu verkaufen. Zum Glück ist die Aktie dieses Biotech-Start-ups, das Du wirklich magst, immer noch 24 % im Plus. Du hast heute Nachmittag einen Termin mit einem Berater, um Versicherungen zu besprechen, aber Du bist wirklich nicht in der Stimmung dafür. Die wirtschaftliche Situation könnte sich verschlechtern und Du fragst Dich, ob es wirklich ein guter Zeitpunkt ist, mehr zu investieren. Sicherlich wird die Situation morgen besser sein, Du musst nur eine Nacht gut schlafen. Aber der morgige Tag bringt weitere schlechte Nachrichten. Das Biotech-Start-up, das Du in Deinem Portfolio hast, ist um 50 % gefallen. Ihr Impfstoffantrag wurde von den Gesundheitsbehörden abgelehnt. Nun reicht’s. Du hast genug vom Investieren.

Drei vertraute alte Freunde

Obwohl diese Geschichte leicht übertrieben ist, zeichnet sie doch ein klares Bild von der Art der Emotionen, die wir beim Investieren durchleben. Schauen wir nun unter die Schädeldecke, um zu sehen, was im Inneren unseres Gehirnes passiert.

Vergnügen

Wenn wir mit Gewinnen oder der Aussicht auf Gewinne konfrontiert werden, wie die im ersten Teil unserer Geschichte, finden in unserem Gehirn komplexe Interaktionen statt, die zu sehr angenehmen Emotionen führen. Neuere Forschungen bringen dies mit der Aktivierung unseres Belohnungssystems in Verbindung – demselben System, welches aktiviert wird, wenn wir unser Lieblingsdessert sehen oder uns auf sexuelle Aktivitäten einlassen. An diesem Belohnungssystem sind mehrere Teile unseres Gehirns und ein bestimmter Neurotransmitter namens Dopamin beteiligt. Es ist die Freisetzung des Letzteren, die jenes Gefühl erklären könnte, welches wir erleben, wenn unsere Investitionen gut abschneiden. Wir sind also physiologisch dazu veranlagt, beim Investieren Freude zu empfinden. Wenn wir jedoch eine Reihe von Gewinnen erleben, spielt unser Belohnungssystem verrückt. Wir neigen dann ähnlich wie bei einer Sucht dazu, mehr Risiken einzugehen, um wieder dieses Gefühl zu spüren.

Furcht

Investieren ist mit Risiken verbunden. Und für wie rational wir uns auch halten: Wenn diese Risiken zum Vorschein kommen, löst das eine Angstreaktion aus. Ein bestimmter Teil unseres Gehirns, die Amygdala, kommt ins Spiel. Angst ist ein machtvoller Mechanismus, der uns helfen kann, in gefährlichen Situationen zu handeln. Sie beeinträchtigt jedoch auch stark unser Denkvermögen und verleitet uns manchmal zu falschen finanziellen Entscheidungen, wie beispielsweise zum voreiligen Verkauf unserer Investitionen oder zur Überschätzung von Risiken.

Zu guter Letzt: Kummer

Ich habe mich lange gefragt, warum das Erleben von finanziellen Verlusten so unangenehm ist. Auch hier findet sich die Antwort teilweise in unserem Gehirn – in einem Teil, der vordere Inselrinde genannt wird. Im Grunde löst ein finanzieller Verlust ein ähnliches Gefühl von Kummer oder Abscheu aus, welches wir erleben, wenn wir etwas auf dem Teller sehen, das wir nicht mögen. Und eine Reihe von Verlusten kann uns dazu veranlassen, das Investieren für eine Weile aufzugeben, nur um dieses unangenehme Gefühl zu vermeiden. Hinzu kommt der soziale Druck. Die Angst, fragenden Freunden den Zustand schlecht laufender Anlagen zu offenbaren, löst bei vielen grosse Ängste aus.

Photograph of a woman meditating beside the sea

Den Mittelweg finden

Nachdem wir nun eine Vorstellung davon haben, um welche Emotionen es geht und welchen Einfluss sie auf unsere Investitionsentscheidungen haben, wollen wir uns anschauen, wie wir mit ihnen umgehen können. Es geht nicht darum, zu versuchen, Emotionen zu unterdrücken – denn sie spielen eine Schlüsselrolle in der menschlichen Kognition –, sondern vielmehr darum, zu erkennen, wann sie einsetzen. Und darum, Zustände von Stress und Angst zu vermeiden, die langfristige Auswirkungen haben können.

Das Erste, was Du tun kannst, ist, direkt an Deinen Emotionen zu arbeiten. Es ist keine Überraschung, dass einige der grössten Investoren Yoga praktizieren. Es ist die Zeit und Mühe wert, die es braucht, um Techniken zu entwickeln und Möglichkeiten zu erkunden, welche uns helfen können, in schwierigen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren.

Der zweite Punkt ist die Verankerung von Sicherheitsvorkehrungen im Prozess der Investitionsentscheidung. Einige Möglichkeiten:

  • Steige schrittweise oder nur zu Deinen eigenen Bedingungen in den Markt ein, prüfe Deine Anlagehypothese, stimme Deine Einsätze angemessen ab oder verzichte auch einfach einmal auf Anlagemöglichkeiten (keine Sorge, die Märkte werden Dir noch viele weitere bieten), sodass Du Dich nicht vom Rausch der Habgier mitreissen lässt.
  • Halte Dich an die Fakten und konzentriere Dich auf langfristige Ziele, um die negativen Folgen der Angst zu vermeiden – wie beispielsweise voreiliges Verkaufen oder ins Überanalysieren verfallen.
  • Diversifiziere Dein Portfolio, setze Dir klare Vorgaben, wann Du verkaufst, nimm Verluste nicht persönlich und akzeptiere, hin und wieder weniger involviert zu sein. Dies kann Dir helfen, das Gefühl von Kummer oder Abscheu zu vermeiden.

Es braucht Zeit, sich an die eigenen Emotionen zu gewöhnen, aber letztlich ist die Gestaltung eines erfolgreichen Investitionsprozesses ebenso eine Frage des Wissens wie der Selbstkontrolle. Und die gute Nachricht ist, dass wir mit ein wenig Fokus und Geduld beides kultivieren können.

*Quellen:

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Über den Autor

Victor hat mehr als 13 Jahre Erfahrung in der Vermögensverwaltung. Im Laufe seiner Karriere hat er viele Einzelpersonen, Familien und Institutionen auf ihrem finanziellen Weg begleitet, indem er sie entweder bei ihren Investitionen beraten oder ihr Vermögen in ihrem Namen verwaltet hat. Er hatte eine Reihe von Schlüsselpositionen in den Investmentabteilungen von CA Indosuez, Lombard Odier und Citi Private Bank inne. Er hat einen Ingenieursabschluss in Bioinformatik und Modellierung vom Institut National des Sciences Appliquées in Lyon und ist ein zertifizierter FRM. In seiner Freizeit liebt Victor wissenschaftliche Lektüre und das Sammeln seltener Bücher.

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