Die Masterclass
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von Victor Cianni

Chief Investment Officer at Alpian

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Wir alle kennen unser Land mit seinen einzigartigen Sehenswürdigkeiten. Doch es gibt noch andere, ebenso faszinierende Facetten. Dazu gehört ein Wirtschaftsteil, den wir weniger kennen. Entdecken Sie ihn und lesen Sie unsere Artikelserie über Menschen und Branchen, welche die Schweiz bewegen. Peppen Sie damit Ihren Tag auf. Viel Spass.  

Warum das tägliche Leben vieler Menschen ohne die Schweiz nicht dasselbe wäre 

Der Zugang zu den Ressourcen der Erde ist in diesen Tagen schwierig. Die aktuellen Schlagzeilen darüber sind ein guter Grund dafür, Schwachstellen der Schweizer Wirtschaft zu erkunden. Bevor wir diese Reise antreten, sollten wir unser Vorhaben erläutern: Unser informativer Ansatz ist rein wirtschaftlich. Wir liefern Fakten, um beim Sonntagsbrunch eine fundiertere Diskussion zu ermöglichen.  

Hier zu Lande wird 45 Prozent des weltweiten Ölhandels abgewickelt. Bei Metallen und Getreiden sind es 60, beim Kaffee 55 Prozent.

Oberflächlich betrachtet ist die Schweiz kein grosser Rohstoffproduzent. Unser Land ist nicht dafür bekannt, Öl zu fördern, Erze und Edelmetalle abzubauen oder landwirtschaftliche Produkte wie Zucker oder Baumwolle herzustellen. Dennoch sind die Auswirkungen des aktuellen Weltgeschehens auf den Rohstoffmarkt für die Schweizer Wirtschaft ausserordentlich relevant. Denn in den letzten hundert Jahren hat sich die Schweiz als Rohstoffdrehscheibe der Welt etabliert. Das hat manchmal auch für Skandale gesorgt, die wir lieber alle gerne vergessen würden.   

Laut offiziellen Quellen handeln wir mit mehr Rohstoffen und Primärprodukten als jede andere Nation. Hier zu Lande wird 45 Prozent des weltweiten Ölhandels abgewickelt. Bei Metallen und Getreiden sind es 60, beim Kaffee 55 Prozent. Edelmetalle und Edelsteine machen über 20 Prozent der Importe und Exporte aus. Würden die in der Schweiz ansässigen Rohstoffhändler verschwinden, wäre das tägliche Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt nicht mehr dasselbe. Das beginnt bereits bei Ihrem Frühstück.  

An Die Schweiz, beinahe eine Seefahrernation maritime nation

Möglicherweise schockierend hoch sind für Sie diese Zahlen, weil die meisten dieser Waren – abgesehen von Gold – unser Land nie physisch durchqueren. Denn die damit beschäftigten Schweizer Unternehmen sind Händler. Sie ermöglichen den Austausch, die Finanzierung, die Verarbeitung bis hin zum Versand der Rohstoffe. Daher ist die Schweiz mittlerweile beinahe eine Seefahrernation geworden. Unsere Handelsflotte ist von der Grösse her vergleichbar mit derjenigen von Grossbritannien oder Norwegen.  

Dieser Status als wichtigste Drehscheibe für den Rohstoffhandel spiegelt sich in unserer Wirtschaft wider. Wenn wir Sie bitten würden, uns die Schweizer Unternehmen mit den höchsten Umsätzen zu nennen: Wetten, dass Ihnen nicht als erste Rohstoffhändler wie Glencore, Trafigura und Vitol in den Sinn kommen? 

Da wir selbst kaum Rohstoffe besitzen: Warum wurde die Schweiz zur Nummer eins im Handel damit? Die Antwort ist keine grosse Überraschung. Unsere Finanzinfrastruktur sowie Handelsabkommen mit unzähligen Ländern machen uns auf diesem Gebiet so zuverlässig. Und ebenso die Visionen von Pionierunternehmern wie Henri Nestlé oder die Brüder Volckart im 19. Jahrhundert.  

Goldene Eintrittskarte oder Fluch? 

Dieser grosse Marktanteil im Rohstoffhandel ist ein zweischneidiges Schwert. Die Effizienz und Zuverlässigkeit unserer Handelsabkommen, unsere finanziellen Möglichkeiten sowie die Logistik dienen zum einen als Eintrittskarte, um Wettbewerbsvorteile auf dem Rohstoffmarkt zu erzielen. Zum anderen macht uns dies auch angreifbar (oder verletzlich).  

Politische Veränderungen, ethische Debatten und Konflikte setzen diesen Wirtschaftssektor unter Druck. Findet die Schweiz einen Weg, um ein weltweit vertrauenswürdiger Handelspartner zu bleiben und gleichzeitig eine grünere Welt zu ermöglichen, welche die zukünftigen Generationen verdienen? Es liegt an uns. Als Bürger, Verbraucher, Investoren und Innovatoren haben wir alle ein Mitspracherecht. Denken Sie darüber nach, während Sie an Ihrem köstlichen und in der Schweiz gehandelten Kaffee nippen.  

Wussten Sie dies schon? 

Dunkle Bohnen 

Das ist kein Geheimnis. Wir sind das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Schokolade der Welt. Zehn Kilogramm sind es pro Person und Jahr. 

Es ist also kein Wunder, dass jede dritte Kakaobohne von einem Schweizer Handelsunternehmen abgewickelt wird. Trotzdem ist unser Anteil am Export von Schokolade mit 2,6 Prozent bescheiden. Bevor Sie daraus einen falschen Schluss ziehen: Das liegt nicht daran, dass wir so viel selbst essen, sondern dass wir eben hervorragende Bohnenhändler sind.  

Und goldene Nuggets 

Schokolade schafft es also nicht in die Top-Ten unserer Exporte. Doch es gibt einen anderen Rohstoff, der gar die Ausfuhr von Uhren hinter sich lässt: Gold. Ja, das ist kaum bekannt: Schätzungsweise 50 bis 70 Prozent des weltweit vorhandenen Goldes werden in der Schweiz raffiniert. Fünf der grössten Goldraffinerien befinden sich in Balerna (TI), Biel (BE), Castel San Pietro (TI), Mendrisio (TI) und Neuchâtel (entweder alle Orte oder alle Namen?). Die Firmen verarbeiten Tonnen von Goldnuggets zu schönen Barren. 

Über den Autor

Victor hat mehr als 13 Jahre Erfahrung in der Vermögensverwaltung. Im Laufe seiner Karriere hat er viele Einzelpersonen, Familien und Institutionen auf ihrem finanziellen Weg begleitet, indem er sie entweder bei ihren Investitionen beraten oder ihr Vermögen in ihrem Namen verwaltet hat. Er hatte eine Reihe von Schlüsselpositionen in den Investmentabteilungen von CA Indosuez, Lombard Odier und Citi Private Bank inne. Er hat einen Ingenieursabschluss in Bioinformatik und Modellierung vom Institut National des Sciences Appliquées in Lyon und ist ein zertifizierter FRM. In seiner Freizeit liebt Victor wissenschaftliche Lektüre und das Sammeln seltener Bücher.

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